Dez 19 2020

Der Weihnachtsmarkt

Von weitem duftet es herrlich nach Mandeln und Zuckerwatte. Die Lichter und das leise summen von Musik locken mich an, die Illusion im Kopf, romantisch und ein wenig sentimental. Ich gehe auf den Weihnachtsmarkt.

Angekommen, links von mir zwei Menschen mit Jacken, daran ein dichter, flauschiger Fellkragen.
Ein Blitz im Kopf, ich höre einen grellen Schrei, ich sehe einen Fuchs an einem Seil festgezurrt, über Kopf hängend, ein Mann zieht und zerrt an seiner Haut, zieht und zerrt, das ist gar nicht so einfach.

Schreie, Blut, Angst. Alles geht schnell, und doch zu langsam. Die Haut will nicht so, wie sie soll.
Der Fuchs von der Tortur übermannt, mehr lebend als tot, stirbt nicht, hängt an seiner Haut. Aber dann doch, mit starken Rucken, zieht sie sich langsam über den Kopf. Seine Haut, der Pelz. Schmerz, Schreie, Blut.

Weiter geht’s, heute ist Weihnachtsmarkt! Kopf, stell dich aus!
Rechts von mir Bommel an Mützen und Taschen. NEIN, heute will ich nicht hinschauen, denk ich mir.

Doch da ist er schon, der nächste Blitz im Kopf. Da sind sie, unzählige Nerze in kleinen Käfigen, ihre kleinen Knopfaugen schauen durch die Gitterstäbe und ich sehe die zarten Füßchen vor mir.

Hin und her läuft es, das kleine Wesen. Warum hilfst du mir nicht? Hol mich hier raus? Wo sind meine Leute?
Ich sehe eine offene, blutige Stelle an seiner Seite, und ich schüttele kurz mein Haupt, … stop Kopf. Weiter geht es, auf dem Weihnachtsmarkt.

Vor mir, in den immer enger werdenden Menschenmassen schaue ich runter, an den Krägen und Bommeln vorbei, dort läuft ein umgestülptes und auf links gezogenes Lamm an ein paar Füssen vor mir her.

Ein Blitz im Kopf. Von einem, sich windenden, schreienden, auf dem Rücken liegenden, schwer verletzen Schaf, den Kopf verdreht. Ein schwerer Tritt trifft die Seite des Körpers, gezerrt und gezogen an Haut oder Haar, egal was greifbarer ist. Blut, Schreie. Angst.

Stop! … ich haste weiter, in eine andere Richtung und aus dem Augenwinkel sehe ich eine Menge lachender Männer, von denen sich der eine grad achtlos den letzten Zipfel seiner Wurst in den Mund schiebt. Darüber klagt, wie traurig es doch ist, dass die dralle Kollegin heute keine Zeit hatte mitzukommen. Fußballergebnisse vom Wochenende werden besprochen.

Mich trifft der nächste Blitz. Der Zipfel Wurst, eine weiche, nasse Steckdosen-Nase, zwischen zwei Metallstangen. Der rosa Körper zerschunden und übersäht mit Schürfwunden. Die Augen leer und kraftlos. Die kleine Nase schnüffelt, nichts als scharfer Amoniak und Dreck und Urin in der Luft. Die Augen starren mich an, ich kann nichts tun.

Neben mir trinkt eine Dame ihren Eierlikör. Babyküken schreddern in meinem Kopf, ein kurzes Piepsen, dann das Grummeln der Schneidwerkzeuge.
„Nochmal dasselbe!“ sagt die Dame neben mir zum Verkäufer.

Weihnachtsstimmung. Um mich herum, Jingle Bells und Rudolph, sie geben alles. Blinkende, wackelnde Deko überall.
Die Auslagen sind voll, die Auswahl ist groß. Ich schaue umher. Für einen Moment halten die Blitze im Kopf sich im Zaum. Nicht lange.

Am nächsten Stand greifen viele Arme in den Verkaufsraum, um ihren Crêpe zu greifen. Eier Milch, Mehl, Nutella, wenig Zutaten und doch so viel Leid dahinter.

Schmatzend vertilgen sie die Ernte der Grausamkeiten. Der Gedanke an federlose, geschundene Küken, an eiternde Euter und weinende Mamakühe weit weg. Jingle Bells, ertönt es, Jingle Bells.

Die heulenden Sägen im Regenwald und die Affen, denen das Herz blutet, scheinen noch weiter weg.

Die Butter tropft vom Crêpe, wie das Palmöl aus den Bäumen. Ich höre die Sägen heulen, Stumpf für Stumpf liegt frei, wie amputierte Beine.
Und der Alltag geht weiter. Weihnachtsstimmung kommt auf, um mich herum, nicht bei mir. Ich bin fehl am Platz. Jingle Bells.

Mein Blick schweift umher, nichts als Blitze im Kopf.

Vom Markt aus, strömen die Menschen in die umliegenden Geschäfte, abgehetzt, das nächste Geschenk, das nächste Geschenk, das nächste Schnäppchen, das nächste Schnäppchen.
Konsum, Konsum, Konsum, wo wir doch eh schon alles haben und all das nicht brauchen.

Die Reizüberflutung, die Zeit-Armut, der Alltag lässt die Köpfe heiß laufen. Drähte durchbrennen. Durchbrennen. Empathie und Nächstenliebe sind schon verschmort.
Mitgefühl verschmort. Übrig bleibt das Ego, das geputzt und geschniegelt und gestriegelt wird. Verwöhnt.

Stand für Stand, Meter für Meter geht es so weiter, und weiter. In den Auslagen der Geschäfte, Pelz in rauen Mengen, Leder und andere „Reste“ von Tieren die einmal gelebt haben. Blitze in meinem Kopf. Schreie, Blut spritzt, Angst in den Augen. Angst im Leben, und im Tod.

Am Ende des Weihnachtsmarktes sehe ich Hände in die Taschen greifen, um ein paar Münzen herauszufischen, ein paar Münzen in die Dose von UNICEF oder der Welthungerhilfe geworfen. Für das gute Gewissen….und überhaupt, die Münzen stören eh nur in der Jackentasche.

Ich will gehen, Jingle Bells, weg hier, Jingle Bells.
Noch vorbei an den abgesägten Baumstümpfen, eine lange Schlange wartet auf Ihren Baum, den perfekten Baum. Der Weihnachtsbaum.

Nun kann er ausbluten, in der warmen Stube und zusehen wie die Menschen ihr Fest der Liebe feiern. Um dann, nach kurzer Zeit halbtot auf die Straße geworfen zu werden, denn dann ist er nicht mehr schön und wird auch nicht mehr gebraucht.

Bis nächstes Jahr.